Aus der Kraft der Gezeiten wird seit Jahrzehnten Strom gewonnen. Gigantische Anlagen können so den Strombedarf von ganzen Städten decken. Aber nicht nur Ebbe und Flut bewegen die Wassermassen der Ozeane. Auch in den Meeresströmungen wirken rund um den Globus enorme Kräfte. Lohnt es sich, diese Quelle anzuzapfen?
Strömungskraftwerke sind nicht nur technisch möglich, sie belasten die Umwelt auch weniger als Gezeitenkraftwerke, da sie keinen Staudamm benötigen. "Es werden frei umströmte Turbinen, ähnlich den Windturbinen, eingesetzt", erklären Jochen Weilepp von der Firma Voith Siemens Hydro Power Generation und Albrecht Ruprecht, Strömungsmechaniker von der Universität Stuttgart. Nachteil der Strömungskraftwerke: Ihre Energieausbeute ist deutlich geringer als bei Gezeitenkraftwerken.
Windräder unter WasserErste Erfahrungen mit den "Windrädern unter Wasser" konnten weltweit gesammelt werden. 2003 wurde vor Hammerfest in Norwegen eine Turbine am Meeresboden installiert, seit 2006 rotieren mehrere kleine Propeller im East River in New York. Vor der Küste von Cornwall wandelte seit 2003 ein "Seaflow"-Rotor die Gezeitenströme mit einer Leistung von maximal 300 Kilowatt in Strom. 2008 folgte die größere Anlage "SeaGen", die bereits 1200 Kilowatt Leistung erzielte.
Quelle: DLRDoch der Schutz vor Salzwasser, die Anbindung an das Stromnetz an Land und aufwändige Wartung fordern die Ingenieure noch immer heraus. "Meeresströmungskraftwerke haben mittlerweile den Status erreicht, den die Windenergie in den 1980er Jahren hatte", fassen Weilepp und Ruprecht den Stand der Technik zusammen. Mit steigender Robustheit erwarten sie einen Ausbau der Technik, mit der bald schon wettbewerbsfähig Strom erzeugt werden könnte. Das weltweite Potenzial schätzen sie auf mindestens 1200 Terawattstunden pro Jahr. Das entspricht etwa sieben Prozent des weltweiten Strombedarfs.
Potenzial in Europa: 12.500 Megawatt
So könnten in Zukunft die natürlichen Meeresströmungen über eine ausgereifte Technik der Stromerzeugung dienen. Allein in Europa hat eine EU-Studie sogar mehr als 100 Meeresgebiete ausgemacht, in denen aus Strömungen bis zu 12.500 Megawatt Strom gewonnen werden könnten. Selbst das Mittelmeer, in dem der Tidenhub kaum sichtbare 50 Zentimeter beträgt, bietet zum Beispiel in der Straße von Messina zwischen dem italienischen Festland und Sizilien nutzbare Strömungen. Dennoch, nach aktuellen Studien zur Energiegewinnung in Europa, werden alle Strömungskraftwerke zusammen weit weniger als ein Prozent des Strombedarfs decken. So werden diese Anlagen nur in wenigen Küstenregionen von Bedeutung sein.
Quelle: DLR | Jan Oliver Löfken