Etwa 800 neue Windräder werden Jahr für Jahr in Deutschland installiert - die meisten davon in Brandenburg. Schon heute stehen dort etwa 3.000 Windkraft-Türme. Nur die Küstenregion Niedersachsens hat noch mehr zu bieten. Brandenburg ist Windenergie-Spitzenreiter unter den deutschen Binnenländern - und die Zahl der Anlagen wächst weiter. Immer näher rücken sie an die Dörfer heran und säumen die Randlagen von Natur- und Vogelschutzgebieten. Die Betreiber der Anlagen berufen sich dabei guten Gewissens auf den Klimaschutz. Aber ist die Windenergie wirklich so umweltfreundlich und ökologisch wie ihr guter Ruf glauben lässt?Familie Potowski ist in ihrem Heimatort Wernitz in Brandenburg von Windrädern regelrecht umzingelt. Das nächste steht gerade einmal 800 Meter von ihrem Haus entfernt. Dabei war die ländliche Ruhe für Ralph Potowski einer der Gründe, mit Frau und Kindern nach Wernitz zu ziehen. Doch mit der Ruhe ist es nun vorbei, erzählt der junge Familienvater: „2000 haben wir gebaut, Ende 2000 sind wir eingezogen. Da hatten wir sechs Windkrafträder rund ums Dorf stehen. Zwei, drei Jahre später ging es dann los: Wie die Pilze kamen überall die Windkrafträder raus. Das hat uns natürlich keiner gesagt. Ich wäre hier nie hingezogen, wenn ich gewusst hätte, dass ich hier irgendwann nur noch überall Windkrafträder sehe. Und jetzt haben wir die fast im Vorgarten stehen. Jetzt hören wir dieses „wupp-wupp“ von den Windkrafträdern die ganze Zeit. Und das ist total nervend.“
Gesundheitliche Risiken sind kaum untersuchtUnd es macht ihnen Sorgen. Denn Christine Potowski erwartet ihr drittes Kind und es gibt Anzeichen dafür, dass die Nähe der Anlagen gerade bei Schwangeren und Kindern die Gesundheit gefährdet. Eigentlich sind die Potowskis für den Umweltschutz – aber nicht auf Kosten ihrer Gesundheit. Nicht nur Ralph Potowski, die ganze Familie klagt über Beschwerden, so Ralph Potowski: „Die Windräder stören durch ihre Geräuschkulisse halt ziemlich beim Schlafen. Gerade meine Frau leidet darunter und vor allen Dingen die Kinder, die kaum eine Nacht durchschlafen. Gerade im Sommer, wenn’s warm ist und man eigentlich die Fenster offen lassen möchte. Die kommen immer an: ‚Oh Papa da ist was, Papa da ist was.’ Ich mach mir natürlich auch Sorgen über die gesundheitlichen Folgen. Das ist schon belastend.“
Die Risiken der Windkraft sind bisher kaum untersucht. Hartmut Schönduwe von der „Volksinitiative Windrad“ kämpft deshalb mit Mitstreitern aus ganz Brandenburg für Mindestabstände von 1.500 Metern. Denn nicht nur der Lärm der Windräder, auch die unhörbaren, niedrigen Frequenzen, die sie erzeugen, stehen im Verdacht, der Gesundheit zu schaden. Vor diesem so genannten Infraschall warnte das renommierte Robert Koch Institut schon 2007. Das machte die Bürgerinitiative hellhörig, so Schönduwe: „Wenn ich hier herumfahre und mich mit den Leuten über die Windkraftanlagen unterhalte, stellen die fest, dass sie Schlafstörungen haben, Unkonzentriertheit, Schwindel und so weiter. Unter anderem auch Angstzustände, Zustände, die sie früher nie gekannt haben. Und das könnte sich decken mit den Aussagen in dem Bericht des Robert Koch Institutes, der genau diesen Punkt aufgegriffen hat: Die Auswirkungen von Infraschall auf den menschlichen Körper.
Zehntausende Vögel werden WindkraftopferDoch nicht nur was die Gesundheit der Menschen betrifft fordern die Windräder wohl einen zu hohen Preis. Auch Vögel kommen den Anlagen oft zu nah. Das erfährt Dr. Torsten Langgemach, Chef der Brandenburger Vogelschutzwarte, fast täglich. Um die über 3.000 Windkraftanlagen in Brandenburg regelmäßig zu kontrollieren hat die Vogelwarte zwar zuwenig Personal, aber schon bei Stichproben stoßen sie ständig auf tote Vögel. Torsten Langgemach überrascht das nicht: „Die Geschwindigkeit, mit der die Rotoren sich bewegen, ist einfach so hoch, dass die Tiere das nicht kalkulieren können. So wie ein Kind im Straßenverkehr, wenn ein Auto mit über zweihundert Sachen vorbei kommt - das ist für ein Kind zu viel. Und die Spitzen der Rotoren, die können tatsächlich über 200 oder 230 Kilometer pro Stunde erreichen. Und diese Tiere kommen dann eben mit schweren Verletzungen unten an: die haben teilweise die Flügel abgeschlagen oder sind gar in der Mitte durchgetrennt. Und das ist ein ganz eindeutiges Zeichen, dass sie nicht an anderen Ursachen sterben.“
Trotzdem ist Langgemach kein Windkraft-Gegner. Er wünscht sich vielmehr, dass Windkraft- und Naturschutzbelange in Zukunft besser miteinander abgestimmt werden, denn bisher geschieht das zu wenig. Zehntausende von Vögeln und Fledermäusen fallen den Anlagen nach Schätzungen der Vogelschützer jährlich zum Opfer. Wenn Langgemach eine Bilanz der Windkraftopfer zieht, hat er dabei vor allem seltene oder gefährdete Arten wie den Rotmilan oder den Seeadler im Blick. 45 tote Seeadler zählte die Vogelwarte in den letzten Jahren: „Das Problem ist, dass an der Spitze der Windkraftopfer nicht irgendwelche häufigen Allerweltsarten stehen, sondern seltenere Arten wie zum Beispiel der Seeadler und der Rotmilan. Beim Rotmilan sind es schon 125“, berichtet Torsten Langgemach über die Todfunde bei Vögeln. „Wenn diese Art bei uns ihre Lebensgrundlagen verliert, dann kann es schon passieren, dass sie möglicherweise ausstirbt.“
Schlechte Ökobilanz – vor allem im BinnenlandWas Kritiker wie Hartmut Schönduwe ärgert ist, dass die Windräder nicht nur Landschaften zerstören und Mensch und Tier gefährden. Bei all den Nachteilen leisten besonders Anlagen im Binnenland nur einen geringen Beitrag zu Energieversorgung und Klimaschutz, wie unabhängige Wissenschaftler errechnet haben. Der Sozialökonom Thomas Heinzow kritisiert dabei nicht nur, dass die Windanlagen rund um die Wohnorte der Schönduwes und Potowskis nur etwa halb so effizient arbeiten wie in Küstenregionen. Er kritisiert auch die ökologischen Konsequenzen: „Hier in Brandenburg sind die Windgeschwindigkeiten so niedrig, dass die Windkraftanlagen nur die Hälfte des CO2 vermeiden helfen, wie es Anlagen an der Küste tun. Deshalb ist es hier im Binnenland nicht sinnvoll, ökonomisch und ökologisch, diese Anlagen zu betreiben. Also wenn wir dieselbe Summe Geld, die wir in die Windkraftanlagen gesteckt haben, in die Verbesserung unseres Kraftwerksparks stecken würden, dann könnten wir 30 Millionen Tonnen mehr CO² einsparen als wir derzeit mit den Windmühlen einsparen.“
Heinzow plädiert deshalb für den Anlagenbau in lohnenderen Regionen – in Küstennähe, teils gar in Gegenden wie Marokko oder den Kanaren, in denen der Wind konstanter und stärker weht. Hier ist Windstrom billiger als der fossil erzeugte Strom und der Ausbau der Windenergie bewirkt dort ökologisch mehr. Doch dort wo es sich wirklich lohnt stehen in seinen Augen zu wenige Anlagen. Und hier in Deutschland zu viele.
Der Ausbau geht weiter – trotz vorhersehbarem Stillstand Und weil die Windgeschwindigkeiten - gerade hier - nicht konstant sind, werden Leistungsschwankungen der Windkraftwerke in der Regel durch parallelgeschaltete Gaskraftwerke ausgeglichen. Die Windenergie spart dann Erdgasstrom statt klimaschädlichem Kohlestrom. Nach Heinzows Analyse spricht auch das gegen weitere Anlagen in Deutschland. Trotzdem wird weitergebaut.
Thomas Heinzow kann das nicht nachvollziehen: „Geplant ist ein Ausbau auf 30.000 Megawatt an Land, und dann halt eben in der Nordsee und Ostsee bis auf 50.000 Megawatt. So dass zusammen 80.000 Megawatt an Windenergie zur Verfügung stehen würden. Die tatsächliche Nachfrage nach Strom bewegt sich aber nur zwischen 46 bis 76.000 Megawatt im Normalfall, so dass Windkraftwerke stillgelegt werden müssen, damit das Netz nicht zusammenbricht. Dabei geht es dann den Erbauern von Windkraftanlagen eben nur noch um das Geschäft.“
Denn selbst zeitweiliger Stillstand lohnt sich für die Betreiber. So sehr, dass manche ihre Anlagen sogar ins Vogelschutzgebiet bauen. Denn die Vergütung für Windstrom ist drei bis vier Mal so hoch wie für konventionellen Strom. Auch deshalb wird rücksichtslos gebaut.
Rücksicht auf Mensch und Natur
Dabei könnte Windkraft an überlegt gewählten Standorten zur umweltfreundlichen Energieversorgung beitragen ohne Natur und Mensch zu schaden. Und ohne ihre Nachbarn in die Flucht zu schlagen. Ralph Potowski jedenfalls hält es in seiner Wahlheimat nicht mehr: „Also wir würden also schon gerne hier wegziehen. Aber wer zieht denn hierhin, wer zieht denn freiwillig in den Windkraftpark? Also an verkaufen ist wohl eher nicht zu denken.“
Für ihn und seine Nachbarn ist klar: Auch eine Nischentechnologie wie die Windkraft muss Rücksicht auf Mensch und Natur nehmen, wenn sie wirklich ökologisch sein will und von den Menschen akzeptiert werden soll.
Quelle: Odysso - Wissen entdecken, SWR Fernsehen Scarlet Löhrke