Atomstrom ist in der Herstellung günstig
Erste Anlaufstelle ist Gerd Rosenkranz von der Deutschen Umwelthilfe. Er hat eine Studie zu den Stromkosten in Auftrag gegeben. Das Ergebnis: Atomstrom ist in der Herstellung tatsächlich sehr günstig. Ein abgeschriebenes Kraftwerk kann eine Kilowattstunde für zwei Cent produzieren. Da der Strom an der Strombörse mit fünf bis sechs Cent gehandelt wird, profitiert der Verbraucher jedoch nicht von den günstigen Preisen. Im Gegenteil. "Der Strom aus Atomkraftwerken wird tendenziell sogar teurer angeboten als der aus regenerativen Energien", so Rosenkranz. "Die Energieerzeuger haben mit Atomstrom einen Gewinn von über 100 Prozent."
Für den Verbraucher ist Atomstrom teuer
Professorin Claudia Kemfert vom Deutschen Institut für Wirtschaftsforschung weiß, dass der Grund dafür im unzureichenden Wettbewerb liegt: "Vier Konzerne teilen sich 80 Prozent des Marktes und handeln ihren Strom an der Strombörse in Leipzig", erklärt sie. Hier zählen nicht die Herstellungskosten, sondern Angebot und Nachfrage. Das bedeutet jedoch auch, dass bei einem großen Angebot die Preise an der Börse sinken.
Zu viel Strom in Deutschland
Mittlerweile beträgt der Anteil der regenerativen Energien am Strommarkt in Deutschland über 15 Prozent. Gleichzeitig sind große Kohle- und Atomkraftwerke am Netz und produzieren konstant Strom, die sogenannte Grundlast. Wenn wenig Strom verbraucht wird und gleichzeitig erneuerbare Energien Strom ins Netz einspeisen, beispielsweise an einem windigen Sonntagmorgen, könnte allein die Windenergie einen Großteil des deutschen Bedarfs decken. Große Kraftwerke werden dann nicht gebraucht. Für Michael Schroeren vom Bundesministerium für Umwelt, Naturschutz und Reaktorsicherheit (BMU) sind sie dann sogar ein Problem: "Wo soll denn der Strom aus erneuerbaren Energien noch Platz haben, wenn das Netz verstopft ist mit Atomstrom?" Die Betreiber können ihre großen Kohle- und Atomkraftwerke nicht flexibel steuern und - solange der Wind weht - herunterfahren. "Es kommt immer wieder vor, dass es in Deutschland zu viel Strom gibt. Und das obwohl in den vergangenen Wochen bis zu acht Atomkraftwerke stillgestanden haben", so Gerd Rosenkranz von der Deutschen Umwelthilfe. Für ihn ist deshalb klar: Atomstrom und erneuerbare Energien passen nicht zusammen.
Atomenergie versus Kohlekraft
Professorin Kemfert ist trotzdem für eine Laufzeitverlängerung der Atomkraftwerke. Für sie geht es nicht um die Frage "erneuerbare Energien versus Atomenergie", sondern um die Frage "Kernenergie versus Kohlekraft". Ausschlaggebendes Kriterium für sie: Der CO2- Ausstoß. "Mir sind ältere, aber sichere Kernkraftwerke am Netz lieber als die Kohlekraftwerke, die gerade neu gebaut werden", sagt sie. Eine steigende Anzahl von Kohlekraftwerken bedeutet eine größere Menge Treibhausgas in der Atmosphäre. Der Treibhauseffekt hat extreme Klimaereignisse - wie Überflutungen - zur Folge. Auch in Deutschland - und das kostet.
Kosten der Atomenergie
Doch auch bei der Kernenergie sind die Folgekosten nur schwer einzuschätzen. Bislang gibt es weltweit mehr als 280.000 Tonnen hochradioaktiven Müll. Der muss zum Teil über eine Million Jahre sicher gelagert werden. "Wenn man heute die Kosten der Kernenergie berechnet, muss man auch die Kosten der Endlagerung, der Risiken oder der Gesundheitsgefahren mit reinrechnen und die sind natürlich entsprechend hoch", so Kemfert.
Für den Rückbau ihrer Kraftwerke haben die Betreiber Rücklagen von 30 Milliarden Euro gebildet. "Aber nach den Erfahrungen, die wir jetzt sammeln, ist keineswegs gesichert, dass diese Summe ausreicht", so Rosenkranz. Der Rückbau des AKW Greifswald wird drei Milliarden Euro verschlingen. "Alleine die Sanierung der maroden Endlager in der Asse und in Morsleben belaufen sich auf vier bis fünf Milliarden", so Michael Schroeren vom Ministerium für Umwelt Naturschutz und Reaktorsicherheit. Sind die Kosten größer als die Rücklagen, wird die Allgemeinheit für sie aufkommen müssen. Eine Belastung für zukünftige Generationen.
Die Einnahmen einer verlängerten Laufzeit fließen jedoch ausschließlich in die Tasche der Konzerne. "Die zusätzlichen Gewinne bewegen sich, je nachdem wie man rechnet, zwischen 38 Milliarden und über 200 Milliarden Euro", so Rosenkranz. "Dabei hat der deutsche Steuerzahler die AKWs mit über 40 Milliarden Euro sehr teuer bezahlt", sagt Professorin Kemfert. Die Laufzeitverlängerung ist für sie deshalb aus volkswirtschaftlicher Sicht sinnvoll. Sie knüpft sie aber an eine Bedingung: "Die Betreiber sollten verpflichtet werden, bestimmte Geldbeträge in innovative Energietechniken und in den Netzausbau zu investieren." Das würde allerdings den Gewinn der Betreiber stark schmälern. Michael Schroeren glaubt deshalb nicht an dieses Modell: "Welchen Grund und welches Interesse sollten die Konzerne dann an einer längeren Laufzeit haben?"
Gas als Alternative
Dr. Rosenkranz hat eine Alternative, die insbesondere das Hauptproblem beim Zusammenspiel erneuerbarer Energien mit großen Kraftwerken lösen würde. "Gaskraftwerke können, was Atomkraftwerke nicht können: Sie können sich flexibel an die unstete Windenergie oder die unstete Sonnenenergie anpassen." Das heißt, sie stehen still, wenn viel Wind weht, können aber starten, sobald Strom benötigt wird. "Gaskraftwerke sind in vielen Bereichen besser als Atomkraftwerke," bestätigt Professorin Kemfert, "Sie sind nicht so kostenintensiv, wenn man sie baut. Gas ist ergiebiger und der Wirkungsgrad dank Kraftwärmekopplung höher". Bei Kraftwärmekopplung wird Strom produziert, der ins Netz eingespeist wird. Gleichzeitig wird Wärme zum Heizen gewonnen. Solche Gaskraftwerke stoßen pro Kilowattstunde Strom sogar weniger CO2 aus als Atomkraftwerke.
Angst vor der Abhängigkeit
"Aber man muss sehen: Wo kommt das Gas her?", so Kemfert. Sie möchte eine Abhängigkeit vom russischen Gas vermeiden. "Es wäre deshalb am besten, die Produktion von Biogas viel stärker zu fördern", sagt sie. Das bestätigt auch Michael Schroeren: "Wir sehen ein sehr großes Potenzial für die Gewinnung von Biogas im landwirtschaftlichen Bereich, ohne dass die Nahrungsmittelproduktion darunter leiden müsste."
Der Ausbau der erneuerbaren Energien auf 30 Prozent in den nächsten zehn Jahren ist politischer Konsens. Die Frage ist nur, wie die Zeit überbrückt werden kann, bis ein Großteil des deutschen Stroms erneuerbar ist.
Quelle: DasErste.de - [ARD Ratgeber Technik] - Energie - Autor: Johannes Bünger